Basler Zeitung, 23.3.1999 Eingriffe in Lebensräume

Was bedeuten die vielen gelben Streifen im Pfeffergässlein, und wo führen sie hin? Eine Linie erweist sich als tote Spur und endet mitten in der Gasse, eine andere führt direkt in den Hauseingang des Nachbarn, stoppt vor der verschlossenen Tür eines Hinterhofs oder führt den Gully hinab.
Corina Bezzola hat sich nach ihren Studien an der Kunstgewerbeschule Basel und an der Kunstakademie der bildenden Künste in Wien der monochromen Malerei gewidmet. Die Reduzierung auf eine Farbe findet nun ihren Ausdruck in den farbigen Klebebändern, mit denen sie heute bevorzugt arbeitet.

Die Künstlerin greift mit Klebebändern in die Lebensräume der Menschen ein. Ihre temporären Interventionen laden dazu ein, bekannte Orte neu zu erfahren und Beziehungen zwischen öffentlichen und privatem Raum, Bewohnern und Besuchern zu erforschen. Die gelben Linien lassen sich als künstlerische «Sehvorgaben» verstehen; als Vorschläge, den Raum und die dort lebenden Menschen mit neuem, fremdem Blick zu sehen.
Die Intervention im Pfeffergässlein löst sowohl ästhetische Reflexionen als auch Fragen nach nachbarschaftlichen Verhältnissen aus. Aus der Reaktion der Bewohner und Besucher der Gasse lässt sich erfahren, wie unterschiedlich die Installation wahrgenommen wird. Während die einen den Eingriff rein formal, in der Art eines abstrakten Gemäldes betrachten, sehen die anderen in den Linienbezügen einen Kommentar zum Zusammenleben in der Gasse. Und genau diese doppelte Lesbarkeit der Klebebänder-Installationen ermöglicht es der Künstlerin, mit gestalterischen Mitteln allgemeinen Fragen des Zusammenlebens nachzugehen.
In den beiden Ausstellungsräumen des Ateliers der Katarina F. sind ausserdem einige Fotografien zu sehen, die während eines längeren Aufenthaltes in Ostdeutschland entstanden sind. Es sind Aufnahmen von Interventionen in Wohn- und Arbeitsräumen in Meiningen und Leipzig. Die Künstlerin hat einige Menschen an ihrem Arbeitsplatz oder auch zu Hause besucht und hat auf die Atmosphäre der Räume, aber auch auf den Charakter der Bewohner reagiert, hat sozusagen Beziehungen mittels Klebebänder materialisiert. Die Farbfotografien haben dokumentarischen Charakter und funktionieren zugleich als Bildobjekte, die bewusst mit bildnerischen Mitteln wie Farbkomposition, Bildaufbau und Perspektive arbeiten. Sowohl Motiv als auch Bildausschnitt sagen etwas über den abgelichteten Ort und dessen abwesende Bewohner aus.

Ordnung im Provisorium

Besonders eindrücklich ist eine grossformatige Fotografie, die einen Ausschnitt eines Meininger Haushalts zeigt. Es ist die Küche einer alleinstehenden Frau, die durch bestimmte Eingriffe Ordnung in die ärmlich und provisorisch wirkende Einrichtung gebracht hat: Vor dem tropfenden Kühlschrank liegt ein liebevoll zusammengerolltes Frottee-Tuch, die Lebensmittel sind mangels eines Kastens in Schuhschachteln untergebracht. Auf den Fussboden hat die Künstlerin mit Klebebändern auf den Charakter des Raumes und seiner Bewohnerin reagiert. Das Bild ist zugleich Momentaufnahme einer künstlerischen Intervention und Porträt einer Frau, die ihre bescheidene Existenz mit Ordnungsliebe zu überwinden sucht.


Die Intervention im Pfeffergässlein reizt zum Vergleich mit der Raum- und Lebenssituation Ostdeutschlands. Während die Menschen dort noch in einem «ewigen Provisorium» leben, indem sie verzweifelt Ordnung in das Chaos einzubringen versuchen, gehört in der Schweiz Stabilität und Sicherheit zum Status quo. Die Fragen, die Corina Bezzolas «Fährten» aufwerfen, sind jedoch nicht nur sozialer, sondern auch philosophischer Art: Sie thematisieren das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt.

Jacqueline Falk

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