Kunst-Bulletin Schweiz November 2005 Die Ästhetik der Adhäsion

Corina Bezzola interveniert im ikonografischen Raum.
Die Basler Interventionskünstlerin Corina Bezzola spürt den Kraftlinien nach, die Räume durchlaufen. Und hält sie fest: mit Klebeband und Fotografie.

Den Dingen hängt ihre Geschichte an. Sie entäussert sich in kleinen Resten, die im Raum übrig bleiben und wie Gesten auf einstigen Gebrauch, auf die Handlung verweisen, die sie an seinen Platz gebracht haben. Corina Bezzola hält diese Spuren fest. Bei einem Studienaufenthalt in der Cité des Arts in Paris dokumentierte sie fotografisch achtlos hinterlassene Klebebänder im Stadtraum. Eines ihrer Fotos zeigt Klebeband-Reste, die als leerer Rahmen an einer Hauswand hängen. Ein ikonografischer Topos: ist doch der leere Rahmen ebenso ikonoklastisches Symbol des Bilderverbots wie Markierung von Bilderspuren. Corina Bezzola, die auch als Rahmen-Vergolderin gearbeitet hat, geht es nicht um die leere Fläche, sondern um die Linien, durch die Flächen, Dinge, Raumkonstellationen Bedeutung gewinnen.
Klebebänder sind aktuell in den Materialien zeitgenössischer Kreation recht präsent. In den Walldrawings Santiago Cucullus dienen sie als ein Farbträger unter anderen. Thomas Hirschhorn nutzt die «Armut» des Packbandes zur Inszenierung seiner Raum-Assemblagen. Nic Hess kombiniert sie mit anderen industriellen Materialien zu skulpturalen Installationen. Doch meist bleibt das Klebeband, was es auch im Alltag ist: Hilfsmittel. Nicht so bei Corina Bezzola. Sie erarbeitet mit Holztafeln, auf denen sie minutiös Farbverläufe aus Klebebändern aufbringt, vor allem jedoch durch Interventionen in Räumen, auf Objekten und auf Menschen, eine Ästhetik der Adhäsion.
«Vor einer Intervention muss ich den Raum auf mich wirken lassen, muss erarbeiten, welche Eigenheiten ihn ausmachen», sagt Bezzola. Diese hält sie mit verschiedenen Klebebändern fest, «zeichnet» gleichsam Spuren im Raum auf. In genau komponierten Fotografien, wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit, dokumentiert sie dann den je individuellen Raumcharakter. Nachdem sie private Interieurs erkundet hat, führt ihre aktuelle Arbeit die 41-jährige Baslerin in Künstler-Ateliers. Im Atelier des in Paris und Berlin lebenden Schweizer Malers Stéphane Belzère reagierte sie auf dessen organisch-gegenständliche Bilder mit strengen, geometrischen Linien.
Der Inszenierung des Künstlers im Atelier als energiegeladenem Konzentrationsraum steht, von Duchamp bis Warhol, das Objekt im Raum, das «inspirierte Ding» zur Seite. Die in Paris viel kritisierte Versteigerung des Ateliers von André Breton zeigte 2003 noch einmal den Glauben an dessen Aura. Corina Bezzola entwickelt durch die Kombination von Intervention und Fotografie eine Bildsprache, die der Rhetorik des Raums auf der Spur ist. Dabei sind die Dinge Ankerpunkte, von denen wie lange Ketten die Kraftlinien ausgehen, die einem Raum «Persönlichkeit» geben. Nicht mehr die Aura des Künstlerischen und auch nicht die Magie des Materials inszeniert Corina Bezzola – sie zeichnet mit nüchterner, sicherer Geste die Adhäsionskraft jener Linien nach, die uns im Raum umweben.
In dem Pariser Projekt-Raum café au lit wird Corina Bezzola am 14.10. eine Intervention realisieren, kombiniert mit Fotografien aus der «Format 04», die sie unlängst im Akzent in Basel verwirklicht hat. Mit dem Projekt «Transfer» werden ihre Arbeiten vom 21.10. bis 5.11. in der Galerie Prisma, Bozen gezeigt.

Jens Emil Sennewald

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