Meininger Tagblatt, 9.12.1998 Ohne jenen Postkartenblick ... – Künstlerin Corina Bezzola beendet Austausch-Auf

Meininen (kh). Das klassische Atelier braucht Corina Bezzola nicht. Ihr Interesse gilt Beziehungen, die sie fotografiert, installiert oder auf andere Weise gestaltet: Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Orten, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Diesen Beziehungen war sie auch auf der Spur, als sie im Rahmen des Künstleraustausches zwischen der Basler Merian-Stiftung und der Kunstinitiative Meiningen ein halbes Jahr in der Theaterstadt zu Gast war. Dieser Aufenthalt neigt sich nun dem Ende zu. «Er war eine gute Erfahrung für mich und fruchtbar und spannend in jeder Beziehung», so die Schweizerin.

In einem Kunsthaus von Basel wird am 19. Dezember die Jahresausstellung eröffnet, die als Forum der Künstler aus der Region bis zum 5. Februar läuft. Darunter werden zwei Fotos von Corina Bezzola sein. Es sind Aufnahmen zweier Installationen, die während ihrer Austauschzeit als Gast der Meininger Kunstinitiative entstanden sind.
«Aber nicht alles ist fertig geworden», meint die Baslerin in einem Gespräch mit der Heimatzeitung. «Ich habe hier viel experimentiert, über das ich nachdenken muss, habe auch jede Menge fotografiert. Vieles von dem gesammelten Material muss noch ruhen, bis es eines Tages Eingang findet in eine neue Arbeit, eine neue Installation». Jede Menge Fotomaterial also auch von Meiningen, doch die allseits bekannten Motive werden hier nicht zu finden sein.
«Es ist wohl mehr das Unspektakuläre, das Alltägliche und doch Zufällige, was mich reizt», meint die junge Frau. «Mein Blick, nein, das ist kein Postkartenblick. An meinen Fotos lässt sich feststellen, wie sich meine Wahrnehmung im Laufe meines Aufenthalts hier verändert hat, wie also mein Blickwinkel ein anderer geworden ist.»
Sie sei neugierig gewesen, als sie im Sommer hier ankam, gesteht die 34-jährige, die als Restauratorin ihre ersten Erfahrungen mit dem Metier gesammelt hat und später die Schule für Gestaltung in Basel und die Kunstakademie der Bildenden Künste in Wien besuchte.

Erste Initiative: Umsehen

1996 hatte sie an der «Marstallation II» teilgenommen und für sich diesen Besuch innerlich noch nicht abgeschlossen. Den Impuls, den sie damals verspürt hatte, wollte sie nun wieder aufnehmen. Dieses halbe Jahr sei fruchtbar und spannend in jeder Beziehung gewesen, sagt sie heute. Persönlich und beruflich habe sie viele Kontakte geknüpft, habe Gespräche mit Künstlern der Region ebenso geführt wie mit den Leuten auf der Strasse. «Wenn man in ein fremdes Land geht und dieses wirklich kennen lernen will, setzt es voraus, dass man die Initiative ergreift», so ihre Meinung.
Die Initiative hiess am Anfang: Umsehen, nicht nur in der engeren Umgebung von Meiningen. Und das war auch mit Schwierigkeiten verbunden, ohne eigenes Auto, immer auf Bus und Bahn angewiesen zu sein oder darauf, dass man im Pkw mitgenommen wird. Auf diese Weise lernte sie zu Dresden, das sie schon früher einmal besucht hatte, auch noch Leipzig, Berlin, Weimar kennen. «Das waren nur relativ kurze Eindrücke, die ich sicher noch vertiefen werde».

Imaginäre Beziehungen

In einer 1922 stillgelegten Schachtanlage in Abteroda gehörte Corina Bezzola zu den sieben Objektkünstlern, die anlässlich des Tages des offenen Denkmals im September hier die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit dem historisch vieldeutigen Ort und dem Thema «Erkundungen» ausstellten. Erkundet wurde dabei nicht allein die Geschichte des technischen Denkmals. Die Wände atmeten viel mehr noch die Zeit nach der Stilllegung, als hier Häftlinge des KZ Buchenwald Waffen und Munition herstellen mussten und die Frauen später nach Ravensbrück kamen ...
Jeder Raum habe mindestens eine sichtbare und viele nicht sichtbare Geschichten, so Corina Bezzolas Ausgangspunkt. Diesen unsichtbaren Geschichten, den imaginären Beziehungen eines Raums ist sie seit den Marstallationen auf der Spur. Sie materialisiert diese Beziehungen durch farbige Klebebänder, wie sie es auch in öffentlichen Innen- und Aussenräumen von Meiningen vorhatte. «Aber das schlechte Wetter im Sommer hat mir, was die Aussenräume betraf, einen Strich durch die Rechnung gemacht», blickt die Baslerin zurück. So habe sie sich vorwiegend auf Innenräume gestützt: auf Wohnungen von Freunden und eine Zahnarztpraxis.
Hier habe sie die Spannung gereizt, die von dem einerseits persönlich gestalteten und doch der Öffentlichkeit zugänglichen Raum ausging, berichtet die Künstlerin. «Es ist ein Grenzbereich, den ich kennen gelernt habe, der zwischen Arbeitsraum für den Zahnarzt einerseits und dem intimen Bereich des Patienten liegt, ein Bereich, in dem gewohnter Alltag und Fremdheit des anderen täglich miteinander in Berührung kommen.»

Videos in Künstlerbar

In einem Schweinfurter Schlachthof hat kurz vor dessen Abriss die Schweizerin an einer Kulturwoche mit bildenden Künstlern teilgenommen. Hier habe sie die Technik der «materialisierten Beziehungslinien durch Klebebänder» nicht angewandt, sondern neue Versuche gestartet, indem sie mit Kleidern und Kleidersäcken Installationen im Raum geschaffen habe.


Schliesslich habe sie mittels Videoaufzeichnungen eine Art Berichterstattung über ihre Begegnungen im vergangenen halben Jahr aufgezeichnet, die – aufgeteilt in vier Beiträge – in der Cargo-Bar, einer Künstlerbar in Basel, gezeigt werden. Teilweise sind sie dort bereits gelaufen. Man könnte sich vorstellen, dass diese Beiträge auch für die Meininger interessant sind ...

K. Herzog

zurück/back